Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar eine möglicherweise weitreichende Entscheidung getroffen, was die Voraussetzungen eines Sorgerechtsentzugs und die genauer Darlegung der Kindeswohlgefährdung bei einem Umgangsboykott betrifft.

Vorliegend ging es um eine Mutter, die offensichtlich den Umgang ihrer beiden Kinder mit dem Vater boykottierte. Beide Kinder gaben bei der gerichtlichen Anhörung an, keinen Umgang mit ihrem Vater haben zu wollen. Die vom Gericht beauftragte Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die Ablehnung des Umgangs durch die Kinder letztlich darauf zurückzuführen sei, dass die Mutter ihre übersteigerten Ängste gegenüber ihrem Ehemann auf die Kinder übertragen hatte. Deren früher positive Signale gegenüber Umgangskontakten mit dem Vater wurden nach Kontaktabbruch durch die Mutter zunehmend von durch sie beeinflusste Negativäußerungen überlagert. Die Sachverständige sah durch die Verfestigung eines negativen Vaterbildes das erhebliche Risiko einer nicht gelingenden Persönlichkeits- und Autonomieentwicklung, eines Stehenbleibens auf einer kindlichen Abhängigkeitsbeziehung von der Mutter sowie einer daraus resultierenden Belastung für die zukünftige Beziehung zur Mutter. Das Gericht ging ebenso wie die Sachverständige davon aus, dass keine Aussicht auf eine Verhaltensänderung der Mutter bestünde. Es erließ ohne vorherige Anhörung eine einstweilige Anordnung, durch die der Mutter das Sorgerecht entzogen und dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wurde. Zudem wurde das Jugendamt mit Zustimmung des Vaters ermächtigt, die Kinder vorübergehend in einer geeigneten Einrichtung oder Pflegefamilie unterzubringen. Diese Maßnahmen sah das Gericht aufgrund einer zu befürchtenden Kindeswohlgefährdung als dringend geboten an.

Die Mutter legte hiergegen Verfassungsbeschwerde ein, da sie aus ihrer Sicht vor allem in ihrem Elternrecht aus Art. 6 II 1 GG verletzt wurde und das Bundesverfassungsgericht gab der Beschwerde statt. Es führte zunächst aus, dass durch die Fachgerichte keine genauere Prüfung milderer Mittel vorgenommen und daher dem Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend Genüge getan wurde. So hätten Maßnahmen geprüft werden müssen, die zu einer Wiederaufnahme des Umgangs mit dem Vater hätten führen können. Neben der Anordnung von Zwangsmitteln wären hier insbesondere eine Umgangspflegschaft oder eine Therapie der Kinder genauer zu prüfen gewesen. Eine Umgangspflegschaft hätte den Eingriff gegenüber einem Sorgerrechtsentzug auf das zunächst erforderliche Maß beschränkt und kann nur dann unterbleiben, wenn sie offensichtlich aussichtslos ist. Die Anordnung von Zwangsmitteln wurde offensichtlich gar nicht erst geprüft, da der Vater keinen entsprechenden Antrag gestellt hat. Auflagen an die Mutter, die Kinder therapeutisch behandeln zu lassen, wurden gar nicht erst in Erwägung gezogen. Was die Fremdunterbringung betrifft, so hätte das AG die damit verbundene erneute Traumatisierung der Mutter nicht hinreichend ins Verhältnis zu den negativen Folgen eines Verbleibs bei der Mutter gesetzt. Als ebenso schwerwiegend wertete das Gericht den Umstand, dass das AG die Einschätzungen der Sachverständigen übernahm, dass es sich bei den aufgezählten Risiken um eine Kindeswohlgefährdung handle, ohne die hier notwendige spezifisch rechtliche Wertung vorzunehmen. Ebenso verkannte die Erstinstanz, dass ein Sorgerechtsentzug nicht eine irgendwie geartete Kindeswohlgefährdung voraussetzt, sondern eine mit ziemlicher Sicherheit zu erwartende Schädigung.
(BVerfG, Beschl. v. 28.02.2012, Az.: 1 BvR 3116/11)

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