Vor dem Bundesverfassungsgericht hatten jetzt drei Verfassungsbeschwerden Erfolg, in denen sich sich Unterhaltspflichtige gegen Gerichtsentscheidungen gewandt hatten, in denen ihnen ohne Prüfung der konkreten Umstände die Verletzung einer gesteigerten Erwerbsobliegenheit vorgeworfen wurde und dementsprechend fiktive Einkünfte bei der Bemessung des Kindesunterhalts hinzugerechnet wurden. In allen drei Fällen reichte das Einkommen nicht aus, um den Mindestunterhalt ohne Unterschreitung des Selbstbehalts zahlen zu können.

Zunächst handelte es sich um einen Mann aus Ghana, der die deutsche Sprache nur schlecht beherrscht und als Küchenhilfe arbeitet. Hier befand das Amtsgericht, dass eine ungelernete Arbeitskraft bei entsprechenden Bemühungen eine Erwerbstätigkeit mit einem Bruttostundenlohn von 10 € finden könne und der Restbetrag müsse dann mit einer Nebentätigkeit erwirtschaftet werden. Der zweite 1953 geborene Beschwerdeführer war körperlich behindert und lebte von Sozialleistungen. Hier war das Amtsgericht der Meinung, er könne durch überregionale Bemühungen eine Tätigkeit etwa als Nachtportier oder Pförtner finden, um das notwendige Einkommen zu erzielen. Auch im dritten Fall war der Beschwerdeführer körperlich behindert. Hier ging das Amtsgericht trotz der körperlichen Behinderung pauschal von einer fiktiven Leistungsfähigkeit aus, da keine Angaben zu dem Bemühungen bei der Arbeitssuche gemacht wurden.

Alle drei Gerichtsentscheidungen hielten der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. So hielt das Bundesverfassungsgericht zwar fest, dass die die Berücksichtigung fiktiver Einkünfte nicht zu beanstanden ist, soweit der Unterhaltspflichtige mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeiten bei „gutem Willen“ ausüben könne, jedoch muss auch die entsprechende Leistungsfähigkeit vorliegen. Andernfalls liegt eine unverhältnismäßige Einschränkung der finanziellen Dispositionsfreiheit und somit die Verletzung des Grundrechts auf wirtschaftliche Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG vor.

Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt einerseits das Fehlen subjektiver Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners, andererseits aber auch die objektive Erzielbarkeit durch den Unterhaltspflichtigen voraus. Hier müssen bei der Einzelprüfung Kriterien wie Alter, Berufsqualifikation, Erwerbsbiographie, Gesundheitszustand oder auch die Verfügbarkeit entsprechender Arbeitsplätze geprüft werden. In allen drei Fällen wurde eine solche Einzelfallprüfung durch die Fachgerichte nicht vorgenommen und verletzten die Beschwerdeführer daher in ihren Grundrechten.
(BVerfG; 18.06.2012; Az.:  1 BvR 774/10, 1 BvR 1530/11, 1 BvR 2867/11)

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