Das Wechselmodell in Deutschland und der Blick auf Europa

Nach der Trennung stehen Eltern vor der Herausforderung, den Aufenthaltsort ihres Kindes bestimmen zu müssen. Das deutsche Familienrecht geht bisher von einem Residenzmodell aus, das den  Lebensmittelpunkt eines Kindes nur bei einem Elternteil vorsieht, der andere Elternteil wird auf regelmäßige Besuchskontakte verwiesen.  Paritätische Teilhabe an der Betreuung des gemeinsamen Kindes  in Form eines Wechselmodells ist Wunsch vieler getrennt lebender Elternteile, die die gelebte Gleichberechtigung des gemeinsamen Zusammenlebens auch nach der Trennung aufrechterhalten wollen.

Was ist ein Wechselmodell?

Das Wechselmodell ist von dem gesetzlich verankerten Residenzmodell abzugrenzen. Während das Residenzmodell davon ausgeht, dass das Kind vornehmlich von einem Elternteil betreut wird und lediglich durch regelmäßige Umgangskontakte (ca 30 % ohne Ferienregelung) die Beziehung zum anderen Elternteil pflegt, ist das Wechselmodell von der Idee geprägt, dass sich die Eltern die  Verantwortlichkeiten der alltäglichen Betreuung  des Kindes untereinander aufteilen, die gemeinsame Sorge tatsächlich leben und sich das Kind bei beiden Eltern geborgen und „zu Hause“ fühlt.  Von einem Wechselmodell kann daher bereits schon gesprochen werden, wenn ein Kind eben mehr als 30 % bei einem anderen Elternteil verbringt. Erhöht sich der Anteil auf eine tatsächliche 50 %ige Betreuung,  liegt ein „paritätisches Wechselmodell“ vor, das allerdings nicht unwesentliche  Auswirkungen auf die Fragen des Kindesunterhaltes, des Wohnsitzes des Kindes, der Bezugsberechtigung beim Kindergeld und beim Unterhaltsvorschuss hat. Ferner treten häufig auch  Fragen in Bezug auf die Alltagssorge auf.

Kann ich dieses paritätische Wechselmodell gerichtlich durchsetzen?

Die gelebte Realität vieler Familien nach einer Trennung entspricht dem Wechselmodell. Doch was passiert, wenn ein Elternteil sich der Idee des Wechselmodells verweigert? In der Hochphase der Trennung einer Familie beeinträchtigen häufig Konflikte auf der Paarebene die konstruktive und Kindeswohl bezogene Zusammenarbeit der Eltern auf der Elternebene. Die innere Bereitschaft,  die bis dahin gelebte Parität der Kinderbetreuung aufrechtzuhalten, schwindet, während Misstrauen zunimmt.  Bindungen des Kindes an den anderen Elternteil werden gegenseitig nicht mehr ausreichend wahrgenommen, weil der Schmerz der erlebten Verletzungen durch den anderen auf der Paarebene auf seine Beziehung zum Kind übertragen wird.  Selbstbezogener Rückzug und Feindseligkeit kann die Folge sein und die Beziehung zum anderen Elternteil prägen, jedoch meist zu Lasten des Kindes, das dadurch von Entfremdung bedroht wird.  Wenn in dieser Situation ein Elternteil das Wechselmodell fordert, während der andere Elternteil den Lebensmittelpunkt des Kindes beansprucht, stellt sich die Frage, ob das Wechselmodell gerichtlich durchsetzbar ist. Der 13. Senat des Kammergerichts Berlin vertritt die Auffassung, dass ein Wechselmodell gerichtlich nicht angeordnet werden kann, vielmehr hat im Streit darüber, ob ein Wechselmodell ausgeübt werden soll, dass Gericht grundsätzlich über das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern zu entscheiden und dieses dann gemäß § 1671 BGB einem Elternteil zuzuweisen. In diesem Fall finden sich die Elternteile, die um ein Wechselmodell bemüht sind, in einem klassischen Sorgerechtsstreit wieder, obwohl sie in der Regel die Bedeutung des anderen Elternteils für das Kind nicht infrage stellen, sondern lediglich um mehr Teilhabe kämpfen wollen.

Hintergrund für die Auffassung des 13. Senates, ist die Überzeugung der Richter, dass ein Wechselmodell dann nicht im Sinne des Kindeswohls ist, sondern diesem eher schaden dürfte, wenn zwischen den Eltern ein hohes Konfliktniveau besteht. Da der Wechsel zwischen zwei Lebensmittelpunkten dem Kind ohnehin schon eine hohe Anpassungsleistung abverlangt, kann nach Auffassung der Richter ein Wechselmodell nur dann in Betracht kommen, wenn die Eltern in der Lage sind, diese Belastungen aufzufangen, ihre eigenen Konflikte zurückzustellen und sich an den Bedürfnissen des Kindes auszurichten. Um dies zu schaffen, müssen die Eltern fähig und gewillt sein, miteinander zu kooperieren und zu kommunizieren. Ferner führt das Gericht aus, bedarf es sowohl ausgeprägter gegenseitiger Toleranz hinsichtlich unterschiedlicher Erziehungsstile als auch der Bereitschaft, sich stetig auszutauschen,  damit das Kind das Zuhause bei dem jeweiligen Elternteil als gleichwertig betrachten kann (vgl. hierzu: KG, Beschluss vom 27.11.2013, 13 UF 84/13). Zwar mögen diese Voraussetzungen sicherlich für das harmonische Gelingen eines Wechselmodells  förderlich sein, jedoch fühlen sich viele Betroffenen in einem akuten Trennungskonflikt von den Gerichten durch diese Rechtsprechung alleingelassen. Das Gefühl, der ablehnenden Haltung des anderen Elternteils ausgeliefert zu sein, belastet die betroffenen Elternteile. Die Haltung des Kammergerichts ist nicht unumstritten. Es wird auch die gegenteilige Ansicht vertreten, dass das Wechselmodell auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden kann., und zwar unter anderem auch mit dem  Argument, dass es nicht in die Hand eines Elternteils gelegt werden kann, losgelöst vom Kindswohl aus kindswohlfernen Motiven das Wechselmodell durch schlichte Ablehnung zu verhindern (Schmid in NZFam 2016, 818ff, so auch OLG Hamburg, FamRZ 2016,912). Maßgeblich bleibt jedoch stets das Kindswohl.

Häufig führen Verletzungen auf der Paarebene zu einem Vertrauensverlust auf der Elternebene, so dass in einem Trennungskonflikt der Blick für die Bedeutung des anderen Elternteils für das Kind unter den Belastungen der Trennung leidet und dadurch die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigt wird, welche Möglichkeiten ein Wechselmodell für das Kind bieten kann. Betrachtet man die publizierten Entscheidungen muss jedoch festfestgestellt werden, dass die Mehrheit der Entscheidungen sich gegen eine gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteiles ausspricht. Letztlich bleibt daher meist nur der gemeinsame Konsens der Eltern, sich auf ein Wechselmodell zu verständigen. Die Vereinbarung auf ein Wechselmodell ist von der Privatautonomie der Eltern gedeckt und lediglich durch das Verbot der Kindswohlgefährdung beschränkt. Möglicherweise könnte den Eltern in dieser sensiblen Phase der Transformation in eine getrennt lebende Familie ein Leitbild helfen, welches ihnen hilft, die Bedeutung des anderen für das gemeinsame Kind nicht zu vergessen, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Das Leitbild für ein Wechselmodell fehlt derzeit. Das Bundesverfassungsgericht hat unlängst festgestellt, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet sei, das Wechselmodell als Regelfall vorzusehen. Denn weder Art. 3 (Gleichbehandlungsgrundsatz), Art.6 (Elternrechte) unseres Grundgesetz, noch Art. 9, 18 der UN Kinderrechtskonvention verpflichten den Gesetzgeber zu einer solchen Festlegung zu Gunsten eines als Regelfall vorgesehenen Wechselmodells. (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24.6.2015 – 1 BvR 486/14, NZFam 2015,755).  Das Bundesverfassungsgericht hat somit keine Impulse gesetzt, an der bestehenden Gesetzeslage etwas zu ändern.

Wie sieht das Wechselmodell innerhalb von Europa aus?

Einige europäische Rechtsordnungen bieten Trennungsfamilien ein gesetzliches Leitbild an. In Belgien ist seit 2006 das Wechselmodell als Regelbetreuungsform nach einer Trennung gesetzlich verankert.  Ähnliches in Frankreich, in dem das Wechselmodell gesetzlich als ausdrückliche Alternative zum Residenzmodell genannt wird. In Frankreich ist es auch möglich, dass das Wechselmodell gerichtlich angeordnet wird. In Skandinavien ist das Wechselmodell der Regelfall. Seit 2006 kann es auch gegen den Willen eines Elternteils in Schweden gerichtlich angeordnet werden, ebenso in Norwegen. Laut durchgeführten Studien soll in Dänemark demzufolge jedes fünfte Kind nach der Trennung der Eltern im Wechselmodell betreut werden.

Fazit:

In Anbetracht bestehender Harmonisierungsprozesse innerhalb der EU bleibt es daher abzuwarten, wie sich die deutsche Gesetzgebung weiter entwickeln wird. Bis dahin kann Betroffenen nur empfohlen werden, durch intensive Wahrnehmung von Eltern- und Familienberatungen Paarkonflikte zu überwinden, um das individuelle Betreuungsmodell zu finden, das dem Wohl ihres Kindes unter Berücksichtigung seiner bis zur Trennung gelebten Betreuungsverhältnisse und den dadurch erwachsenen Bindungen am besten entspricht.  Die Paarebene ist kündbar, die Elternebene nicht. Sie ist unkündbar.

Wenn Sie eine Beratung zu Ihrer Kindschaftssache wünschen, lade ich Sie ein, mich zu kontaktieren.

Jens Christian Göke, LL.M.

Rechtsanwalt und Mediator